Shin Kicking – Der schmerzhafteste Spaß Englands


Zwei Männer machen Shin Kicking. Sie versuchen, sich durch Tritte zum Fallen zu bringen.

Was ist Shin Kicking?

Shin Kicking, auf Deutsch Schienbein-Treten, ist genau das, was der Name vermuten lässt – und doch noch viel mehr. Es ist eine Mischung aus Ringen, Judo und einem sehr schmerzhaften Stepptanz. Zwei Gegner stehen sich gegenüber, packen sich am Kragen und versuchen, sich gegenseitig mit gezielten Tritten gegen die Schienbeine so sehr zu schwächen, dass der andere das Gleichgewicht verliert. Gewonnen hat, wer den Gegner zuerst zu Boden zwingt.

Klingt absurd? Ist es auch. Aber es ist zugleich echte, harte britische Tradition. Der ungewöhnliche Wettkampf verbindet Humor, Mut und eine ordentliche Portion Schmerzresistenz. Heute zählt Shin Kicking zu den bekanntesten und zugleich kuriosesten Volkssportarten Englands und zieht Neugierige aus der ganzen Welt an.

Ursprung: Eine Tradition mit Schlagkraft

Der Ursprung dieser merkwürdigen Disziplin reicht bis ins frühe 17. Jahrhundert zurück. Zum ersten Mal wurde Shin Kicking bei den Cotswold Olimpicks in Chipping Campden erwähnt. Dieses Volksfest, inszeniert von Robert Dover, gilt als eine Art spiritueller Vorläufer der modernen Olympischen Spiele.

Neben Sackhüpfen, Hammerwurf und Schubkarrenrennen gehörte das Schienbein-Treten zu den beliebtesten Disziplinen. Bauern und Arbeiter nutzten die Spiele, um ihre Stärke und Ausdauer zu zeigen – und wahrscheinlich auch, um ein paar lokale Rivalitäten auszutragen, ohne gleich im Gefängnis zu landen. Trotz seiner rohen Natur wurde Shin Kicking zu einem festen Bestandteil der britischen Volkskultur und überlebte bis heute, während viele andere mittelalterliche Spiele in Vergessenheit gerieten.

Ist Shin Kicking eine echte Kampfkunst?

Wenn wir uns die rohe Gewalt ansehen, drängt sich eine Frage auf: Gehört das wilde Eintreten auf Unterschenkel eigentlich in die Kategorie Kampfsport? Um das zu beantworten, müssen wir uns zwei Dinge ansehen:

Was zählt zu Martial Arts?

Grundsätzlich zählt zu Martial Arts (Kampfkünsten) jedes kodifizierte System und jede Tradition von Kampftechniken. Dazu gehören Disziplinen wie Karate, Judo, Boxen oder Ringen. Sie dienen der Selbstverteidigung, dem militärischen Nahkampf oder eben dem sportlichen Wettstreit. Da Shin Kicking ein festes Regelwerk besitzt, eine lange Tradition hat, Techniken erfordert (Grifftechniken und Tritte) und ein 1-gegen-1-Duell ist, zählt es technisch gesehen tatsächlich zu den europäischen Folk-Martial-Arts. Es ist die bäuerliche, etwas grobschlächtige Antwort auf die eleganten Kampfkünste Asiens.

Was ist das beste Martial Arts?

Diese Frage sorgt in Internetforen für endlose Diskussionen. Die meisten Experten würden heute sagen: Was das beste Martial Arts ist, hängt vom Ziel ab. Für reine Effektivität im Käfig nennen viele Brazilian Jiu-Jitsu (BJJ) oder Muay Thai. Geht es aber darum, wer nach drei Pints Bier auf einer englischen Wiese am längsten stehen bleibt, während ihm jemand gegen das Schienbein hämmert? Dann ist Shin Kicking ungeschlagen. Es ist vielleicht nicht die „beste“ Kampfkunst für die Selbstverteidigung auf der Straße, aber definitiv die unterhaltsamste für die Zuschauer.

Die Regeln

Auch beim Schienbein-Treten herrscht nicht reine Anarchie; es gibt feste Regeln, die vom Schiedsrichter (traditionell „Stickler“ genannt) streng überwacht werden:

  1. Der Griff: Zwei Teilnehmer stehen sich gegenüber und legen die Hände auf die Schultern des Gegners (eine Art Ringer-Griff).
  2. Das Ziel: Nach dem Startsignal („Play!“) wird versucht, den Gegner durch Tritte gegen das Schienbein aus dem Gleichgewicht zu bringen und zu Boden zu werfen.
  3. Der Sieg: Wer zuerst fällt oder aufgibt („Sufficient!“ ruft), verliert die Runde.
  4. Der Modus: Der Kampf wird meist im Best-of-Three-Modus entschieden. Man muss also zwei von drei Runden gewinnen.

Wichtig: Tritte oberhalb des Knies oder unterhalb des Knöchels sind streng verboten. Um schwere Knochenbrüche zu vermeiden, tragen die Kämpfer dicke Hosen, die traditionell mit Stroh vollgestopft sind. Das dämpft den Schmerz – ein wenig zumindest.

Zwei Männer die sich gegen die Schienbeine treten

Schutzausrüstung und Technik

Früher trugen Shin-Kicker schwere Arbeitsstiefel, teilweise sogar mit Stahlkappen verstärkt, was regelmäßig zu blutigen Verletzungen und Brüchen führte. Heute sind solche „Waffen“ verboten.

  • Schuhe: Weiche Turnschuhe oder Slipper sind Pflicht.
  • Kleidung: Die Teilnehmer tragen oft weiße Kittel (Shepherd’s Smocks), wie sie früher von Hirten getragen wurden.
  • Polsterung: Stroh ist der einzige erlaubte Schutz. Vor dem Kampf stopfen sich die Teilnehmer so viel trockenes Stroh wie möglich in die Hosenbeine.

Trotz des simplen Prinzips steckt hinter Shin Kicking mehr Technik, als man denkt. Es ähnelt dem Judo: Wer das Gleichgewicht hält, den richtigen Moment abpasst und präzise Tritte setzt, hat bessere Chancen als jemand, der einfach nur wild zutritt. Beim Schienbein-Treten siegt oft der Geschicktere (und Schmerzresistentere), nicht unbedingt der Stärkere.

Die Cotswold Olimpicks

Das Herz des Shin Kickings schlägt noch immer in Chipping Campden. Jedes Jahr finden dort die Cotswold Olimpicksstatt, ein traditionsreiches Volksfest, das Zuschauer aus aller Welt anzieht.

Hier kämpfen Männer und Frauen um den Titel World Shin Kicking Champion. Viele Teilnehmer treten verkleidet an, was dem Wettbewerb zusätzlichen Charme verleiht. Die Stimmung ist ausgelassen, das Publikum jubelt, Bier fließt in Strömen, und wer einmal dabei war, vergisst den Anblick nie: zwei Erwachsene, die sich lachend und stöhnend, wie zwei verhakte Hirsche, gegenseitig ins Schienbein treten.

Zwei Männer die sich vor einem Publikum gegenseitig gegen ihre mit Stroh umwickelten Schienbeine treten

Schmerz gehört dazu

Wer beim Shin Kicking mitmacht, weiß, worauf er sich einlässt. Selbst mit Strohpolsterung bleiben blaue Flecken, Prellungen und Muskelkater nicht aus. Doch für viele gehört genau das zum Erlebnis.

Der Schmerz ist Teil des Spiels, eine Art Initiation in eine jahrhundertealte Tradition. Es geht nicht darum, den Gegner zu verletzen, sondern zu zeigen, dass man durchhält, lacht und stolz auf die eigenen blauen Flecken ist.

Moderne Varianten

Heute wird Shin Kicking auch außerhalb der Cotswolds gespielt. Auf Sommerfesten, Mittelaltermärkten oder als Fun-Sport-Event erlebt der Sport immer wieder neue Auftritte. Manche Gruppen treten in fantasievollen Kostümen an, andere veranstalten Team-Wettbewerbe mit humorvollem Charakter.

Inzwischen haben sich auch in Schottland und den USA kleine Clubs gebildet, die Shin Kicking als Teil ihrer kuriosen Sportevents austragen. Hier steht der Spaß im Vordergrund, nicht der Schmerz.

Fun Facts für den Stammtisch

  • Olympische Wurzeln: Die ursprünglichen Regeln stammen von denselben Organisatoren, die später den Hammerwurf dokumentierten, der heute olympisch ist. Shin Kicking hat es (leider) noch nicht ins IOC geschafft.
  • Pain Olympics: Der Sport wird international scherzhaft oft als Teil der „Pain Olympics“ bezeichnet.
  • Seriensieger: Manche Kämpfer haben Legendenstatus erreicht und über zehn Titel in Folge gewonnen.
  • Frauen-Power: Es gibt eine eigene Damenliga, deren Kämpfe oft genauso intensiv und technisch versiert sind wie die der Männer.
  • Doping mit Kräutern: Einige abergläubische Teilnehmer mischen Pfefferminzöl oder spezielle Kräuter ins Stroh, weil es angeblich Glück bringen oder den Schmerz lindern soll.

Fazit

Shin Kicking ist ein Paradebeispiel für den schrägen, humorvollen Geist britischer Sportkultur. Eine Mischung aus Mut, Schmerz und Gelassenheit, die zeigt, dass Sport nicht immer bierernst sein muss – auch wenn Bier beim Zuschauen definitiv hilft.

Wer nach einer wirklich außergewöhnlichen Sportart sucht, findet hier das perfekte Beispiel. Shin Kicking verbindet Geschichte, Gemeinschaft und eine ordentliche Portion Selbstironie – ein echter Klassiker unter den lustigen Sportarten.

Lust auf mehr Action? Wenn du noch mehr lustige Beiträge zu lustigen Sportarten lesen willst, schaue dir doch gerne die Sportart Cheese Rolling (Käselauf) an – dort rennen Menschen einem Käselaib einen steilen Hügel hinunter hinterher. Mindestens genauso gefährlich, aber genauso unterhaltsam!